Erbe von Gianni Agnelli: Die Qualverwandtschaften
Doch wer die eingereichten Unterlagen durcharbeitet, der stößt auf sonderbare Dinge. Was als Erstes auffällt: Es liegen keine Kontoauszüge vor, die eine solche Transaktion belegen können. Dabei könnte mit diesen ein für alle Mal der Vorwurf aus der Welt geschafft werden, dass die Großmutter die Enkel beschenkt hat. "Wir haben erklärt und Beweise dazu vorgelegt, wie der Verkauf stattfand", schreibt der Vertraute. In den Akten, die die ZEIT einsehen konnte, finden sich dann auch seitenweise Formulare und Briefe einer Turiner Treuhandfirma. Diese Firma war nach Darstellung der Elkann-Geschwister beim Kauf der Anteile an Dicembre zwischengeschaltet. Frei nach der Devise: Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Einfach ist an der Sache nichts, dafür ging alles erstaunlich schnell. Am 6.Mai 2004 unterschreibt den eingereichten Unterlagen zufolge der Treuhänder aus Turin einen Antrag auf Eröffnung eines Kontos für die bei ihm existierende Position 421 bei der Privatbank Pictet in Genf. Er teilt mit, dass hinter der Position eine Person mit Namen John Philip Elkann stehe, Staatsangehörigkeit "italienisch", Beruf und persönliche Situation: "wohlhabend". Herkunft des Reichtums: "Familienvermögen". Auf den Unterlagen ist kein Eingangsstempel der Bank zu sehen. Und seltsamerweise sind auf dem Antragsformular auch die Zeilen leer, in denen normalerweise die Telefonnummer oder die E-Mail-Adresse des Kunden eingetragen werden.
Auch auf den Formularen von Lapo Elkann (Position 422) und Ginevra Elkann (423) steht nicht mehr. Auch dort sind die künftigen Kunden "italienisch", "wohlhabend" und verfügen über "Familienvermögen". Wenn die Privatbank Pictet sich mit diesen Auskünften begnügte, dann war das recht wenig. Insbesondere zur Herkunft des Geldes sind die Angaben dünn. Woher sollten Lapo und Ginevra Elkann, damals 26 und 24 Jahre alt, die Millionen-Beträge haben, die sie mal eben an die Großmutter Marella überweisen würden? Der Vertraute der Geschwister gibt an, sie hätten als Mitglieder einer wohlhabenden Familie die Mittel dazu gehabt. Und die Bank Pictet beantwortete Fragen zu der Transaktion mit dem Hinweis, man gebe keine Auskunft "über existierende oder nicht existierende, vergangene oder zukünftige Kundenbeziehungen".
Ein ereignisreicher Tag bei der Transaktion war den Unterlagen zufolge der 19.Mai 2004. An jenem Tag passierten an mehreren Orten viele Dinge auf einmal oder nacheinander. Ginevra und Lapo Elkann unterschreiben jedenfalls in Turin Briefe, in denen sie den Treuhänder bitten, jeweils 39,2 Millionen Euro zu überweisen, bei John Elkann sind es 2,5 Millionen. Per Fax weist der Treuhänder daraufhin um kurz nach 14 Uhr die Bank Pictet an, insgesamt etwas mehr als 80,9Millionen Euro von den Treuhandpositionen 421, 422 und 423 auf die Position 420, die der Großmutter zugeordnet wird, zu übertragen. Am selben Tag beglaubigt auch ein Notar in Genf die Unterschriften der Enkel und der Großmutter unter den Kaufverträgen.
Wer glaubt, so ein Millionen-Deal, bei dem mal eben Anteile an einem großen europäischen Autokonzern übertragen werden, brauche Zeit, der täuscht sich. Noch am selben Tag bestätigt der Treuhänder der "Gentile Signora" Marella Agnelli den Eingang der 80 Millionen Euro. Aber nicht nur das. In dem vor Gericht eingereichten Brief des Treuhänders vom 19.Mai 2004 steht auch, dass am 21.Mai 2004 die 80,9 Millionen Euro auf eine andere Treuhand-Position verschoben wurden und daher "zum heutigen Tag" auf der Position 421 noch etwas mehr als 50.000 Euro lägen, nachdem am 31.Mai 2004 weitere 40.000 Euro gutgeschrieben wurden. Was, bitte?! Konnte der Treuhänder wirklich in die Zukunft schauen und am 19.Mai schon unterschreiben, was erst am 31.Mai eintreten würde? Oder hat da jemand einen Fehler gemacht? So klar ist das alles nicht, es herrscht ein heilloses Durcheinander.
Das wundert einen dann doch, denn der Personenkreis, der sich um die Sache kümmerte, war überschaubar. So sei nur am Rande erwähnt, dass der Treuhänder, der die Zahlungsanweisungen an die Bank Pictet unterschrieb, ein Mann ist mit Namen Giovanni Viani. Er arbeitete nicht nur bei der Treuhandfirma, sondern auch in gehobener Position bei der Bank Pictet – und faxte die Aufforderungen, bitte mal eben insgesamt 80,9 Millionen Euro zu überweisen, an Pictet, und zwar zu Händen eines "G. Viani", also an sich selbst. So ist es zumindest in den Unterlagen nachzulesen.
Hat sich also wirklich jemand die Mühe gemacht, eine Schenkung wie einen Kauf aussehen zu lassen, wie Margherita Agnelli behauptet? Der Vertraute der Elkann-Geschwister sagt: Alle Kaufverträge zwischen den Enkeln und der Großmutter seien "unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften und Verfahren gewissenhaft ausgefertigt und notariell beglaubigt worden". Daher sei man "überzeugt von der absoluten Richtigkeit aller unserer Angaben".
Aber selbst wenn die 80,9 Millionen Euro tatsächlich geflossen sind, dann wäre das nach Meinung von Margherita Agnellis Anwälten lächerlich wenig. Sie hat ein Gutachten zu Dicembre erstellen lassen. Dieses bewertet die Gesellschaft im Jahr 2004 mit einer Milliarde Euro, heute sei sie mehr als das Vierfache dessen wert. In jedem Fall wären 80 Millionen Euro für rund 41 Prozent der Anteile damals ein ziemliches Schnäppchen gewesen. Aber klar, es ist ein Parteigutachten der Mutter. Der Vertraute der Elkann-Geschwister weist darauf hin, dass im Jahr 2004 Fiat fast pleite war. Man warte nun "respektvoll auf die Entscheidung der Schweizer Gerichte".
Diese Geduld kann sich am Ende auszahlen. Seit bald 20 Jahren gibt es schon Streit ums Erbe in der Familie Agnelli. John Elkann, der älteste Sohn, ist jetzt 47 Jahre alt, seine Mutter Margherita 67. Die Zeit läuft gegen sie.